RAin Leonora Holling

Mal nachgefragt…

Steuerfortentwicklungsgesetz – Aufgewärmtes von Gestern?

26.07.2024Interview

Am 24.07.2024 wurde der Regierungsentwurf eines „Steuerfortentwicklungsgesetzes“ beschlossen. Fortentwicklungsgesetz? Richtig.
Der Referentenentwurf trug noch den Namen „Zweites Jahressteuergesetz“. Ob in dem „Fortentwicklungsgesetz“ wirklich eine Fortentwicklung steckt?  Erwartet uns etwas Neues oder doch nur Aufgewärmtes? Wurden die Kernwerte der Anwaltschaft ausreichend berücksichtigt? Das klärt Stephanie Beyrich, Pressesprecherin der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), mit der Schatzmeisterin der Bundesrechtsanwaltskammer Leonora Holling.

 

 


Portrait der Schatzmeisterin der BRAK RAin Leonora Holling

Rechtsanwältin Leonora Holling, Schatzmeisterin der Bundesrechtsanwaltskammer

Liebe Frau Kollegin Holling, kaum ist die Kritik der BRAK am Wachstumschancengesetz verhallt, kommt das Steuerfortentwicklungsgesetz um die Ecke. Ich habe irgendwie ein Déjà-vu. Werden hier nicht schon wieder - wie Reste von gestern - Themen aufgewärmt, die eigentlich erledigt waren? Falls ja: Welche?

RAin Holling: Ihr Déjà-vu ist berechtigt:  wir durften feststellen, dass in diesem Gesetzentwurf Regelungen enthalten sind, die schon in sehr ähnlicher Form im Wachstumschancengesetz enthalten waren – nämlich Vorschriften, die Vorsehen, dass die Mitteilungspflichten, die Rechtsanwälte, Steuerberater und andere sogenannte Intermediäre bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen treffen, nun auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten greifen sollen. Dies sehen wir natürlich sehr kritisch, da dies auch bedeutet, dass die anwaltlichen Verschwiegenheitspflichten dadurch weiter beeinträchtigt werden.

Gibt es auch irgendetwas Neues? Was steckt den jetzt drin in Variante 2?

RAin Holling:  Das Steuerfortentwicklungsgesetz beinhaltet eine Vielzahl von Regelungen zu allen möglichen Themen, die auch teilweise begrüßenswert sind. Wir beobachten aber, dass sich eben in den angesprochenen Regelungen zur Ausweitung der Mitteilungspflichten nur marginal etwas geändert hat – so wird etwa jetzt auf Veranlagungszeiträume abgestellt, wo das Wachstumschancengesetz auf Kalender- oder Wirtschaftsjahre abgestellt hat, bei der Frage, welche Kennzeichen eine Steuergestaltung überhaupt ausmachen, die mitteilungspflichtig ist. Diese sehr kleinteiligen Änderungen ändern aber für uns nichts am großen Ganzen.

Dies ist der eigentliche „Aufreger“: erst vor wenigen Monaten wurden, nach langem Ringen, diese Mitteilungspflichten aus dem Entwurf des Wachstumschancengesetz gestrichen. In der Zwischenzeit hat sich die Sachlage nicht geändert, aber auch die Entwürfe zu den Regelungen haben sich nicht maßgeblich geändert. Das passt nicht zusammen.

Haben Sie eine Idee, welche Motivation dahintersteckt, uns nun alte Ideen durch die Hintertüre als neue Initiative vorzusetzen?

RAin Holling: Die Einführung einer solchen Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen ist nicht ganz neu, sondern wurde bereits 2021 im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP vereinbart.

Wir können nur mutmaßen, dass der Kompromiss, aufgrund dessen die Regelungen aus dem Wachstumschancengesetz gestrichen wurde, nicht besonders tragfähig war.

Gleichzeitig erweckt es den Anschein, als habe sich der Gesetzgeber gar nicht mit der zahlreichen Kritik aus Bundestag, Bundesrat und den Verbänden auseinandergesetzt, bevor er dieses Projekt hier kurzerhand wieder anstieß. Dies ist nicht unser Verständnis von guter Regierungsarbeit.

Diese kritischen Stimmen weisen nicht nur auf die von mir erwähnte Verletzung der Verschwiegenheitspflichten hin, sondern führen eine Reihe von Argumenten an, die gegen die Ausweitung der Mitteilungspflichten auf innerstaatliche Steuergestaltungen sprechen: 

Die bereits bestehenden Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen sind bereits kaum effektiv. Würde man die Pflichten aus innerstaatliche Steuergestaltungen ausweiten, würde dies zusätzlichen finanziellen bürokratischen Aufwand erfordern, sowohl auf Seiten der Finanzverwaltung, wie auch auf Seiten der Intermediäre. Wie hoch die steuerlichen Mehreinnahmen sein sollen, die sich durch die Erweiterung der Mitteilungspflichten ergeben sollen, bleibt aber offen. Wir haben also eine große Diskrepanz zwischen erwartenden Nutzen der Regelungen und dem hohen Aufwand, den es benötigt, um sie umzusetzen. Diese Argumente sind zwar auch nicht neu, aber treffen noch immer zu. Dass sie offenbar im Vorfeld dieses Gesetzentwurfs nicht berücksichtigt wurden, ist frustrierend.

Sehen Sie eine Kompromissmöglichkeit?

Kurz gesagt: nein. Die Verschwiegenheitspflichten sind ein elementarer Teil der Berufsausübung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und eine wichtige Errungenschaft des Rechtsstaates. Mandantinnen und Mandanten müssen sich sicher sein können, dass die Inhalte und Ergebnisse von anwaltlichen Beratungen vertraulich bleiben. Schwindet dieses Vertrauen in die Verschwiegenheit von Anwältinnen und Anwälten, schwindet auch das Vertrauen in den Rechtsstaat selbst. Dies kann nicht das Ziel des Gesetzgebers sein. Die Vertraulichkeit der anwaltlichen Beratung ist für die BRAK, und für mich persönlich, nicht verhandelbar.

Glauben Sie es gibt eine Tendenz, die Kernwerte der Anwaltschaft immer mehr auszuhöhlen?

Leider beobachten wir seit einiger Zeit die Entwicklung, dass immer wieder gerade in die Verschwiegenheitspflichten der Anwaltschaft eingegriffen wird. Dies ist kein Phänomen, dass allein das Steuerrecht betrifft, sondern spielt sich auch z. B. in der Geldwäschebekämpfung oder im Strafprozessrecht ab. Wichtig ist, dass wir als Interessenvertretung der Anwaltschaft immer wieder einstehen für die Werte, die unseren Beruf ausmachen und so dafür sorgen, dass die Anwaltschaft ihrer Funktion im Rechtsstaat gerecht werden kann.

Ich danke für das aufschlussreiche Gespräch.