Nachrichten aus Berlin | Ausgabe 23/2021

Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister: Digitalisierung im Fokus

Die Digitalisierung der Justiz stand unter verschiedenen Gesichtspunkten im Fokus der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister (JuMiKo), die am 11./12.11.2021 unter dem Vorsitz des Landes Nordrhein-Westfalen stattfand. Eine Reihe der Beschlüsse sind mittelbar oder unmittelbar für die Anwaltschaft relevant.

18.11.2021Newsletter

 

Dringenden Reformbedarf sehen die Ministerinnen und Minister, um die Bewältigung von Massenverfahren zu ermöglichen, die u.a. durch spezialisierte Anwaltskanzleien und Legal Tech-Unternehmen an die Gerichte gelangten. Die Prozessführung in derartigen Verfahren mit teils sehr umfangreichen, textbausteinartigen Schriftsätzen und einer großen Zahl von Parallelverfahren stelle die Gerichte vor große Herausforderungen. Die JuMiKo bittet das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), über die Beratungsgegenstände der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Vorabentscheidungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof“ hinausgehende Rechtsänderungen u.a. im Zivil-, Zivilprozess-, Berufs- und Rechtsdienstleistungsrecht zu erarbeiten, die eine effiziente Bewältigung zivilgerichtlicher Massenverfahren gewährleisten.

Für arbeitsrechtliche Massenverfahren fordert die JuMiKo eine Erweiterung der vorhandenen Möglichkeiten zur einheitlichen Klärung gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten. Hierzu richtet sie eine Arbeitsgruppe unter der Federführung von Hamburg ein, um z.B. Verbandsklagen oder andere geeignete Instrumente für das arbeitsgerichtliche Verfahren ergebnisoffen zu prüfen und konkrete Vorschläge auszuarbeiten.

Die Ministerinnen und Minister bitten das BMJV zudem, die prozessualen Grundlagen der Videoverhandlung (§ 128a ZPO) einschließlich der Kosten- und Gebührenfragen zu überarbeiten und erforderliche Rechtsänderungen zu veranlassen. Überprüft werden soll insbesondere, ob die Videoverhandlung auch bei übereinstimmenden Anträgen der Parteien verbindlich angeordnet werden kann.

Die derzeitige Rechtslage, wonach es grundsätzlich den einzelnen Insolvenzrichter:innen obliegt, eine eigene Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter:innen zu erstellen und zu pflegen, ist aus Sicht der JuMiKo unbefriedigend. Den Ergebnissen der Arbeitsgruppe "Vorauswahlliste Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter" stimmt die JuMiKo insb. darin zu, dass eine zentrale (nach bundeseinheitlichen Kriterien geführte) Vorauswahlliste geschaffen und durch eine behördliche Stelle geführt werden sollte. Das BMJV soll einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeiten. Die BRAK hatte sich zu dem Vorschlag der Arbeitsgruppe kritisch geäußert. Insolvenzverwalter:innen gehören weit überwiegend der Anwaltschaft an und sollten daher der anwaltlichen Selbstverwaltung unterliegen. Einen Vorschlag für ein Berufsrecht der Insolvenzverwalter hatte die BRAK im vergangenen Jahr vorgelegt.

Zu der Diskussion um einen neuen Pakt für den Rechtsstaat betonen die Ministerinnen und Minister, dass ein solcher Pakt nicht bei der Weiterfinanzierung der bislang eingerichteten Stellen stehen bleiben dürfe. Aus ihrer Sicht muss ein neuer Pakt für den Rechtsstaat auch gemeinsame Investitionen von Bund und Ländern in die Digitalisierung einschließlich des hieraus entstehenden Personalbedarfs der Justiz der Länder im Sinne eines Stärkungspakts Justiz in den Blick nehmen.

Für die Anwaltschaft von Interesse ist ein weiterer Beschluss: Die Justizministerinnen und -minister erachten eine Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts für die Amtsgerichte für sinnvoll. Das würde sich unmittelbar auf die Zahl der Verfahren mit Anwaltszwang (§ 78 ZPO) auswirken. Eine Arbeitsgruppe unter Federführung von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz soll den Zuständigkeitsstreitwert sowie Wertgrenzen für weitere Verfahren überprüfen; auch das BMJV und die Anwaltschaft sollen hinzugezogen werden.

Die Justizministerinnen und -minister erneuerten außerdem ihre Forderung an das BMJV, eine Kommission zur Zukunft des Zivilprozesses einzusetzen, die konkrete Vorschläge für eine Modernisierung unterbreiten soll. Eine Modernisierung und Digitalisierung sei dringend erforderlich, um den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger weiter zu verbessern und die zivilgerichtlichen Verfahren zu beschleunigen und effektiver zu gestalten. Prüfen solle das BMJV u.a. den Aufbau eines Online-Portals für Justizdienstleistungen, den Ausbau von Videoverhandlungen, ein beschleunigtes Online-Verfahren, den Einsatz entscheidungsunterstützender künstlicher Intelligenz in bestimmten Verfahren sowie die digitale Aufzeichnung von Beweisaufnahmen und Parteianhörungen.

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