Nachrichten aus Brüssel | Ausgabe 19/2020

Europäischer Haftbefehl und Rechtsstaatlichkeit – EuGH-Generalanwalt

16.11.2020Newsletter

Die Rechtbank Amsterdam hat derzeit über die Vollstreckung von mehreren durch polnische Gerichte ausgestellte Europäische Haftbefehle zu entscheiden. Im Hinblick auf die wachsenden rechtsstaatlichen Defizite in Polen sieht das Gericht das in Art. 47 der EU-Grundrechtecharta geschützte Recht auf ein faires Verfahren gefährdet und hat deswegen dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen unterbreitet.

Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona schlägt nun dem Gerichtshof in seinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen C-354/20 PPU und C-412/20 PPU vor, die Zuspitzung allgemeiner systemischer Mängel, die die Unabhängigkeit der polnischen Justiz beeinträchtigen, nicht für die automatische Ablehnung aller EuHBs aus diesem Mitgliedstaat ausreichen zu lassen. Der Verzicht auf die zweite Prüfungsstufe, auf der die konkrete Situation der zu überstellenden Person geprüft werden muss, würde wahrscheinlich zur Straffreiheit zahlreicher Täter führen und könnte die Rechte der Opfer verletzen. Die Ablehnung eines EuHBs sei eine außergewöhnliche Reaktion, die die Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Ankerkennung durchbreche und somit auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sein müsse. Anders verhalte es sich, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Art. 2 enthaltenen Werte der Rechtsstaatlichkeit durch den Europäischen Rat festgestellt wurde.

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