Wiederaufnahme

BGH bleibt dabei: Strafverfolgungsfrist beginnt von Neuem

Wird ein Strafverfahren wieder aufgenommen, beginnt die Strafverfolgungsfrist von vorne zu laufen. Der BGH bleibt bei seiner Rechtsauffassung.

14.05.2024Rechtsprechung

Bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des Verurteilten oder Freigesprochenen beginnt der Lauf der Verfolgungsverjährung von neuem. Mit diesem Grundsatzbeschluss hält der BGH trotz entgegenstehender Rechtsansichten an seiner Rechtsprechung von 1972 fest (Beschl. v. 18.03.2024, Az. 5 StR 12/23).

Ein im Jahr 2008 Freigesprochener rühmte sich nach dem Urteil, die Tat (eine gefährliche Körperverletzung) doch begangen zu haben. Dieses Geständnis führte im Jahr 2020 zur Wiederaufnahme des Strafverfahrens gem. §§ 370 Abs. 2, 362 Nr. 4 StPO. Nachdem das AG ihn zunächst erneut freisprach, verurteilte das LG Berlin ihn unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Gegen diese Verurteilung wendete sich der Angeklagte mit seiner Revision. Das KG war allerdings der Ansicht, die Tat hätte nicht mehr verfolgt werden können, weil die zehnjährige Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB bereits abgelaufen sei. Dabei vertritt es die Rechtsansicht, dass diese Frist trotz des Freispruches weiterläuft. Weil der BGH aber bereits 1972 anders geurteilt hatte (Urt. v. 29.11.1972, Az. 2 StR 498/72), legte es ihm gem. § 121 Abs. 2 GVG das Verfahren zur Vorabentscheidung vor.

BGH bleibt bei seiner Rechtsprechung

Der BGH blieb jedoch bei der Grundsatzentscheidung von 1972: Mit der Rechtskraft eines Strafurteils ende die Strafverfolgungsverjährung. Werde das Verfahren nach § 362 StPO wieder aufgenommen, beginne eine neue Verfolgungsverjährung mit der gesetzlich vorgegebenen Verjährungsfrist. Dies stehe zwar so nicht im Gesetz, ergebe sich aber aus einer Auslegung der entsprechenden Vorschriften der §§ 359 ff. StPO und der §§ 78 ff. StGB. Dabei setzte sich der Senat mit allen vertretenen Gegenauffassungen auseinander.

Nach einer Gegenansicht laufe die ursprünglich in Gang gesetzte Verjährungsfrist - trotz der zwischenzeitlich eingetretebeb Rechtskraft des Strafurteils - weiter. Der BGH widersprach dieser Auffassung: Die Wertentscheidung des Gesetzgebers, bei der Wiederaufnahme ausnahmsweise den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit über die Rechtssicherheit zu stellen, würde in diesem Fall leerlaufen. Da die Verfolgungsverjährung mit der Rechtskraft des Urteils endgültig geendet habe, gebe es auch keine bereits in Gang gesetzte Frist, die weiterlaufen könnte.  

Eine weitere Auffassung geht davon aus, dass die Verfolgungsverjährung durch die Rechtskraft des Strafurteils nicht beendet, sondern nur zum Ruhen gebracht werde. Der Zeitraum zwischen Rechtskraft des Strafurteils und Rechtskraft der Wiederaufnahmeentscheidung bleibe danach für die Fristberechnung außer Betracht. Der Senat widersprach auch dieser Ansicht damit, dass das Ruhen der Verjährung eine an sich laufende Verjährung voraussetze. Gemäß § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB beginne sie bereits nach jeder Unterbrechung von neuem. Dies spreche dafür, dass sie erst recht dann neu beginnen müsse, wenn sie nicht nur unterbrochen, sondern sogar vollständig beendet gewesen sei.

Sinn und Zweck sprechen für eine neue Verjährungsfrist

Entscheidend für die vom BGH vertretene Auffassung sprächen aber Sinn und Zweck der Regelungen. Die Wiederaufnahme verfolge zwei Anliegen: Zum einen die Ermittlung des wahren Sachverhalts, zum anderen die Sicherung der Autorität eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Gerade wenn der Aufnahmegrund ein glaubhaftes Geständnis nach § 362 Nr. 4 StPO gewesen sei, gehe es vorrangig um das zweite Anliegen des Gesetzgebers. Das allgemeine Rechtsbewusstsein wäre gefährdet, wenn ein irrtümlich Freigesprochener folgenlos öffentlich der Straftat berühmen könnte. Er solle gerade nicht in aller Öffentlichkeit die kriminelle Tat schildern, das Opfer und dessen Angehörige verhöhnen, mit dem Freispruch prahlen und den Staat lächerlich machen dürfen.

Zudem sei es mit diesen Zwecken des Wiederaufnahmeverfahrens nicht vereinbar, zwar die Rechtskraft eines Strafurteils durchbrechen zu lassen, eine Wiederaufnahme aber an dem verfassungsrechtlich abgeschwächt geschützten Institut der Verjährung scheitern zu lassen. Ein solches Gewicht komme dem Aspekt der Rechtssicherheit im Rechtsinstitut der Verjährung nicht zu: Der Täter habe keinen Anspruch auf Verjährung innerhalb einer bestimmten Frist oder darauf, dass überhaupt Verjährung eintritt. Die Verjährungsvorschriften unterlägen nicht einmal dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot. Lediglich die Neueröffnung bereits abgelaufener Verjährungsfristen sei aus rechtsstaatlichen Gründen unzulässig.

Gerade, weil es hier um das Geständnis als Wiederaufnahmegrund gehe, komme hinzu, dass der mutmaßliche Täter durch eigenes, freies und ihm damit zurechenbares Verhalten für die Wiederaufnahme gesorgt habe. Insofern erscheine noch nicht einmal sein Vertrauen in den Fortbestand des rechtskräftigen Strafurteils schutzwürdig.