Beihilfe zum Mord

BGH verwirft Revision: KZ-Schreibtischtäterin ist schuldig

Die Angeklagte hatte als Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof gearbeitet. Ihre Verurteilung wegen Beihilfe zum Massenmord ist nun rechtskräftig.

03.09.2024Rechtsprechung

Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des BGH hat die Revision einer 99 Jahre alten ehemaligen SS-Sekretärin gegen ihre Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord und versuchtem Mord in 10.505 Fällen verworfen. Die Stenotypistin war im Tatzeitraum zwischen dem 1. Juni 1943 dem 1. April 1945 lediglich 18 bzw. 19 Jahre alt, weswegen das LG Itzehoe sie als damalige Heranwachsende i.S.v. § 1 Abs. 2 JGG lediglich zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt hatte, die zur Bewährung ausgesetzt wurde (Urt. v. 20.12.2022, Az. 3 KLs 315 Js 15865/16 jug). Dieses Urteil ist nun rechtskräftig. Der BGH war davon überzeugt, dass sie von den Morden gewusst habe. Zudem stufte er ihre Bürotätigkeit nicht als neutrale Alltagshandlung, sondern als Beitrag zu den Morden ein (Urt. v. 20. August 2024, Az. 5 StR 326/23).

Die Angeklagte war damals die einzige Stenotypistin im SS-Konzentrationslager Stutthof. Dieses Lager war nicht als reines Vernichtungslager angelegt, sondern zunächst primär als Arbeitslager. Dennoch wurden dort im Laufe der Zeit, gerade gegen Ende des Krieges, zehntausende Gefangene grausam getötet – durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche. Diese Menschen wurden auf dem Gelände anschließend verbrannt. Über ihren Schreibtisch lief praktisch die gesamte Korrespondenz: Darunter sämtliche Befehle sowie auch die Bestellungen für Zyklon B – ein Gift, das zur Vergasung von Menschen verwendet wurde.

BGH: Auch ein Rädchen im Getriebe kann schuldig sein

Die rechtlichen Hauptfragen, die während der Hauptverhandlung beim BGH diskutiert wurden, waren: 1. Hat die Angeklagte mit Vorsatz gehandelt, wusste sie also von der Menschenvernichtung? 2. War ihre vordergründig neutrale Bürotätigkeit als reine straffreie Alltagshandlung oder als strafwürdige Beihilfe zum Mord zu werten? Der BGH bejahte in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung beide Fragen. Dies, obwohl sich der aktuelle Fall von bisherigen in einem Punkt unterschied: Das Lager war kein reines Vernichtungslager, sondern eben (zunächst) primär eines, in dem die Menschen als Sklaven zur Arbeit gezwungen worden waren.

Bereits in früheren Urteilen hatte der BGH klargestellt, dass die an der systematischen Massenvernichtung durch die Nazis Beteiligten auch dann verurteilt werden konnten, wenn sie nur ein Rädchen im Getriebe waren, die Taten nicht eigenhändig ausführten, hierarchischen Befehlen folgten und nicht die Macht hatten, das Geschehen aufzuhalten. Nicht einmal eine konkret nachweisbare Haupttat sei notwendig.

Allerdings sei in solchen Konstellationen eingehend zu prüfen, ob die dem Gehilfen vorgeworfenen Handlungen zumindest die Tathandlungen eines an den Morden Mitwirkenden i.S.d. § 27 Abs. 1 StGB gefördert hätten. Dabei könne es ausreichen, dass vermeintlich neutrale Tätigkeiten für die Organisation des Lagers und die Durchführung der Tötungen notwendig gewesen seien, solange die Personen mit Vorsatz gehandelt hätten (vgl. nur BGH, Beschl. v. 20.09.2016, Az. 3 StR 49/16 zu einem Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau).

SS-Sekretärin muss von den Morden gewusst haben

Das LG Itzehoe war nach der Beweiserhebung zur Überzeugung gelangt, dass die Sekretärin von den Morden gewusst haben muss. Das Argument ihrer Verteidiger, sie habe davon nichts gewusst, ließen die Richterinnen und Richter nicht gelten. Schließlich habe sie Kenntnis vom Inhalt fast der gesamten Korrespondenz gehabt und müsse ständig die verbrannten Leichen gerochen haben. Zudem habe sie die Haupttäter durch die Erledigung von Schreibarbeit willentlich unterstützt. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungshandlungen notwendig gewesen. 

Diese Auffassung hat der BGH nach mehrstündiger Hauptverhandlung am 31. Juli 2024 bestätigt und die Revision der SS-Sekretärin verworfen. Sie habe durch ihre Schreibarbeit dem Lagerkommandanten und dessen Adjutanten, mit denen sie vertrauensvoll zusammenarbeitete, nicht nur physisch geholfen. Sie habe diese auch psychisch bei der Begehung der 10.505 vollendeten und fünf versuchten grausamen Morde unterstützt. Schließlich sei sie in den Lagerbetrieb eingeordnet gewesen, ihr Vorgesetzter habe sie als „zuverlässige und gehorsame Untergebene“ bezeichnet. Ihre Tätigkeit als einzige Stenotypistin sei für den durchweg bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung gewesen.  

Zudem sei ihre Tätigkeit keine berufstypisch neutrale Handlung mit "Alltagscharakter" gewesen. Die Beweisaufnahme des LG Itzehoe inklusive Ortsbegehung habe ergeben, dass die Angeklagte von dem verbrecherischen Handeln der von ihr unterstützten Haupttäter gewusst habe. Dennoch habe sie sich  durch ihre dennoch erbrachten Dienste gleichsam mit ihnen solidarisiert. Dadurch habe ihr Tun jeglichen "Alltagscharakter" verloren.