Verbotsirrtum

Fremdgeld nicht weitergeleitet - Anwalt dennoch freigesprochen

Anwälte sind grundsätzlich verpflichtet, Fremdgelder weiterzuleiten und nicht mit Honorarforderungen aufzurechnen. Ausnahme: Es liegt ein nachvollziehbarer Irrtum vor.

13.06.2024Rechtsprechung

Nach § 43a Abs. 7 BRAO und § 4 BORA sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verpflichtet, fremde Gelder unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen. Dazu zählen auch Fremdgelder von Versicherungen, inklusive Zahlungen auf Kostenerstattungsansprüche. Ein Recht, solche Gelder mit eigenen Rechtsanwaltsgebühren aufzurechnen, besteht in der Regel nicht. Sofern aber eine solche Rechtsfrage noch unterschiedlich beurteilt wird und eine höchstrichterliche Entscheidung dazu noch nicht ergangen ist, unterliegen Rechtsanwältinnen und -anwälte nach Ansicht des AGH Hamburg einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gem. § 17 StGB, wenn sie einer anderen Rechtsaufassung entsprechend handeln (Urt. v. 08.11.2023, Az. I EVY 4/2023).

Fremdgelder nicht weitergeleitet, sondern aufgerechnet

Im konkreten Fall ging es um zwei Fälle aus 2012 und 2016, in denen ein Rechtsanwalt Gelder nicht an die Rechtsschutzversicherung weitergeleitet hatte. In beiden Fällen hatte er zunächst einen Vorschuss der Versicherung erhalten. Nach Abschluss des Verfahrens erhielt er weitere Gelder, einmal von der gegnerischen Versicherung zum Ausgleich seiner Gebühren, und einmal die Gerichtskostenerstattung. Diese Beträge verrechnete er direkt gegenüber dem Mandanten mit seinem Honoraranspruch und teilte dieses Vorgehen der Rechtsschutzversicherung mit. Zum damaligen Zeitpunkt war die Rechtsfrage, ob er zu dieser Aufrechnung berechtigt sei, in Literatur und Rechtsprechung noch umstritten. Erst Jahre später ergingen dazu mehrere BGH-Urteile, in denen ein solches Vorgehen als rechtswidrig beurteilt wurde.

Das Anwaltsgericht Hamburg sprach den Anwalt vom Vorwurf des Verstoßes gegen § 43a Abs. 7 Satz 2 BRAO nF, § 4 Abs. 2 Satz 1, § 23 BORA frei, weil es schon keinen Verstoß gegen die entsprechenden Vorschriften sah. Er sei seinen Abrechnungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen und schulde im Übrigen die Einhaltung der Berufspflichten nicht gegenüber der Rechtsschutzversicherung seines Mandanten. Die Generalstaatsanwaltschaft legte hiergegen Berufung ein mit dem Antrag, den Anwalt wegen gemäß § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO aF (wortgleich mit § 43a Abs. 7 S. 2 BRAO nF) i.V.m § 4 Abs. 2 Satz 1 BORA zu verurteilen. Der AGH sprach ihn nun jedoch ebenfalls frei, jedoch mit einer anderen Begründung als das AnwG.

AGH Hamburg: Unvermeidbarer Verbotsirrtum

Zwar habe der Rechtsanwalt objektiv gegen seine Berufspflichten aus § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO aF verstoßen. Er habe sich dabei aber in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB befunden und infolgedessen ohne Schuld gehandelt.

Die anwaltliche Pflicht zur Weiterleitung von Fremdgeldern sei eine der in § 43a BRAO und § 4 BORA normierten Grundpflichten des Rechtsanwalts; fremde Gelder seien daher unverzüglich weiterzuleiten. Diese Pflicht sei nicht auf Mandantengelder bzw. nur auf das Mandanteninteresse beschränkt. Auch Fremdgelder der Versicherung (insbesondere Zahlungen auf Kostenerstattungsansprüche) seien an diese weiterzureichen. Sinn und Zweck dieser Pflicht sei es, das allgemeine Vertrauen in die Korrektheit und Integrität der Anwaltschaft in allen finanziellen Fragen und damit zugleich die Funktion der Anwaltschaft in der Rechtspflege zu schützen.

Im konkreten Fall seien die Gelder auch tatsächlich „fremd“ gewesen. § 86 VVG ordne einen gesetzlichen Forderungsübergang an. Die vom Rechtsanwalt vorgenommene Aufrechnung dem Mandanten gegenüber habe hier nach § 412 BGB i.V.m. § 407 Abs. 1 BGB nicht zum Erlöschen der Forderungen gegenüber dem Rechtsschutzversicherer geführt, da der Rechtsanwalt von dem Übergang Kenntnis gehabt habe. Dafür reiche es, dass er immerhin die zugrundeliegenden, den Forderungsübergang begründenden Tatsachen gekannt habe.

Allerdings sei er dabei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 Satz 1 StGB unterlegen. Auch wenn Rechtsanwältinnen und -anwälte sehr hohe Anforderungen zu erfüllen hätten, um sich auf einen Verbotsirrtum berufen zu können, seien diese hier doch erfüllt. Schließlich sei die Frage, ob ein Rechtsanwalt vom Gericht und vom Prozessgegner erhaltene Kostenerstattungen behalten und mit eigenen Honorarforderungen gegen den eigenen Mandanten verrechnen darf, zum Zeitpunkt der Aufrechnungen noch umstritten gewesen. Eine höchstrichterliche Entscheidung habe damals noch nicht vorgelegen - erst 2019 sei die erste BGH-Entscheidung hierzu ergangen.