Nachrichten aus Berlin | Ausgabe 15/2024

Verwerfung der Berufung in Abwesenheit: BRAK unterstützt Menschenrechtsbeschwerde

Kann eine Berufung in einem Strafprozess verworfen werden, wenn der nicht ordnungsgemäß geladene und belehrte Angeklagte nicht zu einem Folgetermin erscheint? Darum dreht sich ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in dem die BRAK als Drittbeteiligte zugelassen wurde.

24.07.2024Newsletter

Die BRAK hat als Drittbeteiligte in einem vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängigen Verfahren Stellung genommen, das sich um Rechte des Angeklagten im Berufungsverfahren dreht.

Der Beschwerdeführer hatte gegen seine strafrechtliche Verurteilung Berufung eingelegt. Zu einem Fortsetzungstermin im Berufungsverfahren ordnete das Gericht sein persönliches Erscheinen an und wies darauf hin, dass es im Falle seines unentschuldigten Fernbleibens erneut sein persönliches Erscheinen anordnen würde. Der Beschwerdeführer erschien nicht zu dem Termin. Das Gericht verwarf daraufhin in Abwesenheit des Angeklagten die Berufung ohne Sachverhandlung. Hiergegen wehrt der Beschwerdeführer sich mit seiner Individualbeschwerde an den EGMR.

Zu dem Verfahren wurde die BRAK als Drittbeteiligte zugelassen. Auf den vom EGMR übersandten Fragenkatalog hat die BRAK im Kern ausgeführt, dass es an einer ordnungsgemäßen schriftlichen Ladung des Beschwerdeführers (§§ 329 IV, 216 StPO) gefehlt habe. Denn in der ihm übersandten Ladung wurde in keiner Weise auf die Möglichkeit der Berufungsverwerfung hingewiesen. Die mündliche Belehrung des Beschwerdeführers, die zuvor in der Berufungshauptverhandlung erfolgt war, genügte nicht; vielmehr enthalte § 329 IV StPO zum Schutze des durch einen Verteidiger mit Vertretungsvollmacht vertretenen Angeklagten ein ausdrückliches – schriftlich zu verstehendes – Ladungs- und Belehrungserfordernis. Zudem wurde auch die einwöchige Ladungsfrist nicht gewahrt. Nach alledem musste der Beschwerdeführer für den Fall seines Nichterscheinens zum Fortsetzungstermin nicht mit der Verwerfung der Berufung rechnen.

Das Vorgehen des Gerichts verletzte nach Ansicht der BRAK das Recht auf Vertretung durch einen Verteidiger (Art. 6 I und III c) EMRK). Denn im Fortsetzungstermin der Berufungsverhandlung wurde dem erschienenen Verteidiger nicht die Möglichkeit gegeben, sich als Vertreter für den abwesenden Beschwerdeführer zu äußern. Dem Recht des Angeklagten auf Verteidigung habe der EGMR in vergleichbaren Konstellationen Vorrang eingeräumt; sogar ein unentschuldigtes Fernbleiben von der Verhandlung rechtfertige nicht den gänzlichen Entzug des Rechts auf Verteidigung durch einen Anwalt.

Nach Ansicht der BRAK wurde der Beschwerdeführer durch die Verfahrensweise des Gerichts in seinem in Art. 6 I und III c) EMRK verbürgten Verteidigungsrecht verletzt. Sie hat daher als Drittbeteiligte gem. Art. 44 der Verfahrensordnung des EGMR beantragt, die Individualbeschwerde für begründet zu erklären.

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Hintergrund:

Drittbeteiligte haben nach Art. 44 III der Verfahrensregeln des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die Möglichkeit, rechtliche Stellungnahmen in dem Verfahren abzugeben. Die BRAK war bzw. ist Drittbeteiligte in mehreren Verfahren vor dem EGMR, die grundlegende Rechte von Anwältinnen und Anwälten und insbesondere die Wahrung des Anwaltsgeheimnisses oder grundlegende Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren betreffen.